Führung durch den Totentempel der Pharaonin Hatschepsut (Der el Bahri)

- Protokoll eines 1989 gesprochenen Textes für eine Tonführung von Sylvia Schoske und Dietrich Wildung -

 

Der el Bahri, der um 1475 vC erbaute Totentempel der Königin Hatschepsut, fällt aus dem Rahmen der thebanischen Totentempel in mancher Beziehung heraus. Er liegt nicht an der Grenze von Ackerland zur Wüste wie all die anderen Tempel, sondern weit drinnen in der Wüste am unmittelbaren Absturz der thebanischen Westberge in einem monumentalen Talkessel, in dem sich Architektur und Natur zur Harmonie verbinden. Seine architektonische Anlage stimmt nicht mit dem Schema überein, das wir in Medinet Habu und dem Ramesseum kennengelernt haben, sondern es orientiert sich an einem Vorgängerbau der Zeit um 2050 vC.

 

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Wenn Sie am Ende der modernen Zufahrtsstraße die Kartenkontrolle hinter sich haben, dann stehen Sie bald im untersten Hof des Hatschepsut-Tempels, über dem sich die Tempelanlage terrassenförmig aufbaut (Plan Nr. 1). Blicken Sie schräg nach links hinüber, dort sehen Sie noch tiefer in das Felsenrund einbezogen eine ähnliche terrassenförmige Anlage, die Mentuhotep II., ein König der 11. Dynastie um 2050 vC, hier anlegte. An einer Stelle, wo wohl die Göttin Hathor, die kuhgestaltige Muttergöttin und Schutzherrin des Königtums, in einer Felshöhle verehrt wurde.

Wenn Sie nach rechts blicken, dann sehen Sie von der Felsenterrasse hoch über den Tempel herunterziehend mehrere, sich hell abzeichnende Wege. Es sind die Fußpfade, die vom Tal der Könige das hinter der Felsbarriere in der Achse des Tempels liegt, herüberführen. Es ist empfehlenswert, im Anschluß an den Besuch des Tempels einen der Pfade hinaufzusteigen, um von der Terrasse unmittelbar über dem Tempel - gewissermaßen aus der Vogelschau - auf die ganze Anlage herunterzuschauen, die sich gerade von dort oben besonders leicht dem Blick erschließt.

Der Tempel der Hatschepsut baut sich in zwei Terrassen auf. Vom Hof, in dem wir jetzt stehen, führt eine Rampe hinauf zur ersten Terrasse. Links von dieser Rampe - die erste Terrasse stützend - eine Kollonade, deren Rückwand mit Reliefs geschmückt ist (Plan Nr. 2).

Wenn Sie sich etwas Zeit nehmen wollen, gehen Sie, bevor Sie zur Terrasse hochsteigen, links hinüber und schauen Sie sich an dieser Rückwand die berühmte Darstellung des Transports der großen Granitobelisken an, die von Assuan im Auftrag der Königin Hatschepsut nach Theben gebracht worden sind. Einer dieser beiden Obelisken steht heute noch aufrecht im Tempel von Karnak. Anschließend gehen Sie über die Rampe vom Hof hinauf auf die erste Terrasse, um zunächst einen allgemeinen Überblick zu gewinnen (Plan Nr. 3).

Die Rückseite dieser Terrasse wird von links nach rechts von insgesamt vier Tempelteilen eingenommen. Ganz links außen - von einem kleinen Pylon mit zwei Tortürmen flankiert - das Hathor-Heiligtum, das tief in den Berg hineinführt. Nach rechts anschließend - bis hin zur Rampe in der Mitte der Tempelachse - eine Kollonade mit der Darstellung der Expedition der Königin Hatschepsut in das Land Punt, nach Somalia. Rechts der Rampe die Kollonade mit den Reliefdarstellungen der göttlichen Geburt der Hatschepsut und schließlich ganz rechts außen das Heiligtum für den Toten- und Auferstehungsgott Anubis, ähnlich wie die Hathortkapelle ein teils unterirdisch im Fels angelegtes Heiligtum.

Dieser Kapelle ganz rechts an der Rückwand der ersten Terrasse wenden wir uns zunächst zu und gehen in ihren vorderen Teil hinein (Plan Nr. 4). Die Architektur dieser Kapelle ist typisch für Der el Bahri. Der vordere Tempelteil ist frei gebaut, der hintere Teil des Tempels aber ist als Höhlenheiligtum in den gewachsenen Felsen hineingetrieben. In der Vorhalle, in der wir stehen, rechts ein Reliefbild des Anubis vor einem großen Opfertisch, links ein Reliefbild des Amun am Opfertisch, beide farblich gut erhalten. Die Gestalt des opfernden Königs ist in beiden Bildern ausgehackt. Hier stand ursprünglich das Bild der Königin Hatschepsut. Sie war um 1480 vC auf den Pharaonenthron gekommen, da der legitime Erbe, ihr Stiefsohn Thutmosis III. noch im frühkindlichem Alter war, als sein Vater, Hatschepsut`s Gemahl Thutmosis II., früh verstarb.

Hatschepsut nahm für ihn die Regierungsgeschäfte wahr und ließ sich nach wenigen Jahren bereits als männlicher Pharao darstellen. Ihr Verzicht auf ihre Rolle als Königsgemahlin und Regentin - ihr Anspruch, ein männlicher Herrscher zu sein, stand im Widerspruch mit der auf der Dualität des Mann/Weiblichen aufgebauten ägyptischen Vorstellung des Königtums und so wurde ihr Andenken von Thutmosis III. am Ende seiner Regierungszeit systematisch ausgelöscht. Ihre Bilder und Namen wurden auf allen Tempelwänden Ägyptens ausgemeiselt.

Wir gehen vom Anubis-Heiligtum weiter nach links auf die Mittelachse des Tempels, auf die Rampe zu. Es schließt sich direkt die Kollonade an, auf deren Rückwand die göttliche Geburt der Hatschepsut dargestellt ist. Nach dem siebten Pfeiler (Plan Nr. 5) ist auf der Rückwand, also rechts, das Reliefbild der schwangeren Königin Jahmes zu sehen, der Mutter der Hatschepsut. Sie wird von der froschköpfigen Göttin Heket und von dem widderköpfigem Gott Chnum bei den Händen genommen und zur Geburt geführt. Unmittelbar links eine Szene, die in der Chronologie der Ereignisse vorangeht. Der ibisköpfige Gott Thoth, der Götterbote, verkündet der Königin Jahmes den Besuch des göttlichen Kindsvaters Amun und die bevorstehende Geburt eines mesnchlich-göttlichen Kindes. Analogien zur neutestamentlichen Geburtslegende drängen sich auf.

Wir gehen an dieser Wand weiter und bemerken in Höhe des vorletzten Pfeilers auf der Rückwand die Szene der Heiligen Hochzeit (Plan Nr. 6). Amun und Jahmes sind einander gegenüber auf einem Bett sitzend dargestellt. Der Gott - mit seiner Doppelfederkrone leicht identifizierbar - reicht der Königinmutter das Lebenszeichen an die Nase. Sie stützt mit ihren Händen die Ellbogen des Gottes. Die Beine der beiden Figuren überschneiden sich. In diesen drei Bildern - Überreichung des Lebenszeichens, Berührung zwischen Hand und Ellenbogen und Überschneidung der Beine - ist für den, der ägyptische Bilder zu lesen versteht, die eheliche körperliche Vereinigung zwischen Amun und Königin vollkommen eindeutig ausgedrückt.

Gehen Sie nun an den Ansatzpunkt der Rampe zur oberen Terrasse und an ihrem Fuß vorbei auf die südliche Seite der Rampe, rechts abbiegend in die dort liegende Kollonade. Diese südliche Kollonade trägt den Namen "Punthalle", so benannt nach einem Land, das in ägyptischen Texten "Punt" genannt wird und wahrscheinlich mit Somalia an der ostafrikanischen Küste identisch ist. Dorthin hatte die Königin Hatschepsut um 1475 vC eine Expedition entsandt, um seltene Hölzer seltene Pflanzen und Weihrauch nach Ägypten zu führen. Die Reliefs dieses Tempelteiles berichten mit naturwissenschaftlicher Genauigkeit von den Gegebenheiten im fremden Land.

Wir beginnen unseren Streifzug mit der linken südlichen Schmalwand dieser Kollonade (Plan Nr. 7). Dort sehen Sie die Palmenwälder des fernen Landes, unter denen die pfahlbauähnlich errichteten Hütten zu sehen sind. Leitern führen zu ihren Eingängen empor. Die Basislinien dieses Reliefs, ebenso wie auf der rechts anschließenden langen Wand, gewähren uns einen Einblick in die Tierwelt im Roten Meer über das die Ägypter an die ostafrikanische Küste gesegelt sind. Fische und Wasserschildkröten sind dort mit zoologischer Genauigkeit geschildert. Zur detailgetreuen Schilderung dieses Landes gehört auch die Abbildung der Königin von Punt. Es ist ein Relief dessen Original sich heute im Ägyptischen Museum in Kairo befindet. An Ort und Stelle ist ein Gipsabguß eingesetzt auf dem wir aber doch sehr gut die überaus korpulente Statur dieser Königin erkennen können. Wahrscheinlich aber handelt es sich nicht um ein naturgetreues Abbild, sondern vielmehr um die Darstellung der Funktion dieser Häuptlingsfrau als "Magna Mata", als Große Mutter, als Fruchtbarkeitspersonifikation.

Ganz rechts auf dieser linken Schmalwand sehen wir noch, wie die Weihrauchbäume von Punt von Ägyptern an Tragstangen weggetragen werden. Dann setzt sich die Szene nach rechts um die Ecke herum auf die Längswand fort, deren Bilder ganz links mit dem Beladen der ägyptischen Schiffe beginnen.

Weiter nach rechts, zwischen dem dritten und vierten Pfeiler, sind die ägyptischen Schiffe bereits angekommen. Die Weihrauchbäume werden sichtbar und zwischen dem vierten und fünften Pfeiler sehen wir auf der Wand die hohen Haufen der Früchte des Weihrauchbaumes, die in die königlichen Magazine gebracht werden sollen. Endgültiger Bestimmungsort dieser aus dem Weihrauchlande Punt nach Ägypten gebrachten Gaben war der Tempel der Hatschepsut in der Der el Bahri, der Ort also, an dem wir uns jetzt befinden. Die Ausgrabungen des frühen 20. Jahrhunderts haben übrigens nachgewiesen, daß im Tempel der Hatschepsut von Der el Bahrr im Vorhof Weihrauchbäume eingepflanzt worden waren.

Wir verlassen nun die Punt-Kollonade und gehen weiter nach Süden, an den äußersten linken Rand dieser Terrasse (Plan Nr. 8). Dort befindet sich, wie wir bereits von unten gesehen hatten, ein Heiligtum für die Göttin Hathor. Dieser Hathortempel ist - typisch für Der el Bahri - ein sogenanntes Hemi-Speos d.h. ein Halbfels-Tempel, dessen vorderer Teil normal gebaute Tempelarchitektur ist, während der innere Teil in den gewachsenen Felsen als Höhlenheiligtum hineingetrieben ist. Charakteristisch für diese Hathorkapelle ist die Form der Architekturstützen. Im vorderen Tempelteil sind es Hathorpfeiler und Hathorsäulen, d.h. Stützen, die anstelle des Kapitells das Gesicht der Mutter- und Himmelsgöttin Hathor zeigen. Ein frontal wiedergegebenes Frauengesicht, an das Kuh-Ohren angesetzt sind, eine Anspielung auf die mögliche Erscheinungsform der Hathor als Kuh. Im vorderen Teil des Tempels, auf der linken Innenwand, die Darstellung der Hathorkuh, die aus dem Berg - aus ihrem Höhlenheiligtum - heraustritt und an deren Euter die Königsfigur trinkend dargestellt ist. Ein Bild der unmittelbaren Abhängigkeit des ägyptischen Königs von der Himmlischen Mutter.  

Im rückwärtigen Teil der rechten Wand dieses vorderen Tempelteils eine Festprozession, die ägyptische Soldaten mit ihren Waffen, aber auch mit Ölzweigen in den Händen zeigt. Ein friedlicher Aufmarsch, der charakteristisch sein mag für den Charakter der Regierungszeit dieser Frau auf dem Pharaonenthron.

Stellen Sie sich in diesem Tempelteil genau in die Mittelachse und schauen Sie durch den Eingang hinaus in den weiten Talkessel vor dem Tempel, das sog. Assasif. Dort fallen Ihnen große Ziegelpylone auf. Sie bilden den Eingang zu monumentalen unterirdischen Grabanlagen der ägyptischen Spätzeit, der Periode von 750 - 650 v. Chr. Bei klarem Wetter können Sie auf dem gegenüberliegenden Ufer, etwas weiter nach links, den ersten Pylon des Reichstempels des Gottes Amun Re in Karnak erblicken. Man nimmt an, daß es eine direkte und bewußt gesuchte Achsenbeziehung zwischen den Tempeln auf der Ostseite - der Stadt der Lebenden - und der Westseite - der Stadt der Toten - gegeben hat.

Wenn Sie das Hathor-Heiligtum verlassen, dann gehen Sie zunächst gleich nach rechts, wenige Schritte bis ans Ende der modernen Holzterrasse (Plan Nr. 9). Von hier aus haben Sie einen guten Überblick über den Totentempel von Mentuhotep II. aus der 11. Dynastie, aus dem Beginn des Mittleren Reiches um 2050 vC, fast 700 Jahre bevor Hatschepsut ihren Tempel erbaut hat. Mentuhotep II. hat hier, mehr als 150 m in den Berg hineingetrieben, sein Grab anlegen lassen und unmittelbar davor auf einem quadratischen Sockel seinen Totentempel errichtet. Der Kernbau ist noch deutlich erkennbar, er ahmt den Ur-Hügel von Heliopolis nach. Es ist das erste feste Land, das sich bei der Weltschöpfung aus dem Ur-Ozean erhob. Ein Symbol der Schöpfung und der Ewigkeit also.

Von dieser Terrasse führt eine Rampe hinunter in den Vorhof. Sie können hier erkennen, wie Hatschepsut mit ihrem Tempel das altehrwürdige Vorbild des Mittleren Reiches nachahmte und steigerte. Ganz rechts oberhalb, direkt unter den senkrechten Felsen, erkennen Sie das noch ganz frische Grabungsgelände eines kleinen Tempels von Tuthmosis III., dem Nachfolger der Hatschepsut, für den sie - als er noch ein Kleinkind war - die Regierungsgeschäfte übernahm und der am Ende seiner Regierungszeit das Andenken der Hatschepsut austilgte. Sein Tempel, höher gelegen als der der Hatschepsut, ist in der Ramessidenzeit - wohl gegen 1100 v.Ch. - unter einem Bergsturz begraben worden.

Nun gehen wir nach links zurück in die Mittelachse (Plan Nr. 10). Der Weg auf die zweite Terrasse ist uns verwehrt. Dort war bis vor kurzem die Rekonstruktion der antiken Architektur durch polnische Restauratoren im Gange. Derzeit ist ungewiß, wann und ob diese Restaurierungsarbeiten fortgesetzt werden. (Redaktionelle Anmerkung: Die Arbeiten wurden im Sommer 2000 abgeschlossen, dieser Tempelteil ist nun auch zugänglich).

Hätten wir Gelegenheit, in die nicht zugänglichen Räume des Tempels hineinzugehen, dann würden wir an vielen Stellen - verborgen hinter Türdurchgängen - die kleinformatigen Figuren und Inschriften des Mannes entdecken, der als Architekt und geistiger Vater dieser Anlage gelten darf: des Oberhaushofmeisters der Hatschepsut namens Senenmut. Er hat den Tempel für seine Königin erbaut und sein Grab befindet sich unter der unteren Terrasse des Hatschepsut-Tempels, tief in den Felsen hineingeschlagen. Am Höhepunkt seiner Karriere ist er von der Königin verstoßen worden. Sein Grab blieb unvollendet und seine Inschriften im Tempel wurden, soweit sie überhaupt entdeckt werden konnten, ausgehackt und ausgelöscht. Trotzdem ist uns sein Andenken in vielen Darstellungen, in Reliefs, Inschriften und Statuen erhalten geblieben. Eines der Beispiele für die Rolle, die ein außergewöhnliches Individuum im alten Ägypten spielen konnte.

Nicht zuletzt diese Tatsache, den Architekten des Tempels der Hatschepsut in Der el Bahri zu kennen, macht diesen Tempel zu einem außergewöhnlichen Zeugnis altägyptischer Architekturgeschichte. Sein ursprüngliches Erscheinungsbild ist jedoch, darüber kann kein Zweifel sein, durch voreilige moderne Restaurierung soweit verfremdet worden, daß man es heute wohl nicht mehr so recht nachvollziehen kann.

Wenn es die Tageszeit und ihre Energie erlauben sollten Sie nun über den Felsenpfad links im Norden hinaufgehen auf die Terrasse und von oben auf den Talkessel von Der el Bahri blicken und anschließend vielleicht hinuntergehen ins Tal der Könige, um die Gräber derjenigen Könige zu besichtigen, die zu den Totentempeln gehören, die auf unserem heutigen Programm standen.