- Protokoll eines 1989 gesprochenen Textes für eine Tonführung von Sylvia Schoske und Dietrich Wildung -

Der Besuch des Ramesseums schließt sich sinnvollerweise an den von Medinet Habu an. Denn vieles, was im Ramesseum zerstört ist, ist in Medinet Habu nahezu vollständig erhalten. Wenn wir uns bei dem folgenden Rundgang an den vorangegangenen Besuch in Medinet Habu erinnern, wird vieles klarer und überhaupt erst verständlich.

Plan Ramesseum

Plan Ramesseum

Man betritt das Ramesseum von der Nordseite der Umfassungsmauer her. Unmittelbar hinter der Eingangspforte biegen Sie sobald wie möglich nach links ab und gehen schräg nach links abwärts in den Hof hinter dem nahezu vollständig zusammengefallenen ersten Pylon. Setzen Sie sich im Schatten der Bäume dieses Hofes an irgendeiner Stelle hin (Plan Nr. 1).

Das Ramesseum ist der Totentempel von Ramses II. ­ Ramses dem Großen ­ der von 1290 bis 1225 vC ­ also 65 Jahre lang ­ in der 19. Dynastie im Neuen Reich regiert hat und einer der mächtigsten, einer der bedeutensten altägyptischen Könige gewesen ist. Von seinen politischen Großtaten künden die Reliefs auf der Rückseite des verfallenen Pylons, der den Hof, in dem Sie sitzen, auf der Ostseite abschließt. Es sind Darstellungen der Schlacht, die Ramses II. in seinem 8. Regierungsjahr gegen den Hethiterkönig geschlagen hat, die berühmte Schlacht von Kadesch, die zu einem jahrzentelangen Waffenstillstand zwischen den damaligen Großmächten des Ost-Mittelmeerraumes, zwischen dem Hethiterreich und dem Großreich der Pharaonen, geführt hat. Auf der Südseite des Hofes, also rechts vom Pylon, sind Reste eines Tempelpalastes zu erkennen, genau an der entsprechenden Stelle, wo auch in Medinet Habu der Tempelpalast gelegen hat. Etwas links der Mittelachse liegen Überreste von kolossalen Statuen des Königs. Sie werden den Oberkörper und das Gesäß einer monumentalen Sitzfigur erkennen können, die ursprünglich mehr als 15 m in der Höhe maß. Davor sind im Hof verstreut Reste der Füße dieser Sitzfigur aufzufinden. Diese Statuen sind wohl bereits in der Antike absichtlich zerschlagen worden und haben als Steinbrüche gedient.

Gehen Sie nun links an der umgestürzten Sitzfigur vorbei und biegen hinter ihr nach rechts ab in den Hof hinter dem zweiten Pylon. Ihr Blick wird sofort von einem am Boden liegenden Kopf einer kolossalen Figur Ramses II. gefangen genommen (Plan Nr. 2). Er gehörte zu einer Sitzfigur des Königs, die an der Rückseite dieses Hofes rechts der Mittelachse aufgestellt war. Ihre Entsprechung auf der linken Seite der Mittelachse befindet sich heute im British Museum. Sie ist 1818 von Giovanni Battista Belzoni, dem berühmten Abenteurer und Raubgräber, von hier abtransportiert und nach London gebracht worden.

Von dem kolossalen Kopf Ramses II. wenden Sie sich um und blicken auf die Rückwand des Zweiten Pylons, von dem nur Teile seiner nördlichen Hälfte stehen geblieben sind. Auf diesem Teil der Wand (Plan Nr. 3) sehen Sie, wenn Sie näher herangehen, am rechten Ende die Darstellung der Stadt Kadesch. Des Ortes also, an dem die Entscheidungsschlacht zwischen Ramses II. und den Hethitern stattfand. Die Stadt ist von Wasser umflossen. Es ist der Fluß Orontes im nördlichen Syrien, in seinen Fluten sind die gefallenen Hethiter zu sehen.

Wir wollen Ihnen eine längere Passage aus dem altägyptischen Bericht über die Kadesch-Schlacht vorlesen. Suchen Sie sich dazu eine schattige Ecke in diesem Teil des Hofes.

"Als seine Majestät noch beim Kriegrat mit den Kommandanten saß, kam der elende Feind von Chatti mit seiner Infanterie und Kavallerie und den vielen Fremdvölkern in seiner Begleitung. Sie durchquerten die Furt im Süden von Kadesch und überfielen die Division seiner Majestät, die sich auf dem Marsch befand und ahnungslos war. Da flohen die Truppen und Wagen seiner Majestät auf ihrem Weg nach Norden zum Standort seiner Majestät. Daraufhin umzingelten die Krieger des Feindes von Chatti das Gefolge seiner Majestät, das sich an seiner Seite befand. Als seine Majestät sie erblickte, erhob er sich eilends, ergrimmt gegen sie wie sein Vater Month. Als er seine Waffen ergriff und seine Rüstung anlegte, war er wie Seth im Augenblick seiner Macht. Er bestieg Sieg in Theben, sein großes Gespann aus dem Stall des User-maat-Re Setep-en-Re, geliebt von Amun. Und er breschte eilends voran, allein mit sich selbst. Seine Majestät war mächtig, sein Herz war tapfer, niemand konnte vor ihm bestehen. Er griff die Streitkräfte des Feindes von Chatti an, blickte sich um und fand sich von 2500 Streitwagen umzingelt auf seinem Weg von den Eiltruppen des Feindes von Chatti und den vielen Fremdländern in seiner Begleitung aus Arzawa, Masa und Pidosa. Drei Mann in einem Team kämpften gemeinsam. Kein Offizier war bei mir, kein Wagenlenker, kein Soldat meines Heeres, kein Schildträger. Meine Infanterie, meine Kavallerie floh vor ihnen. Nicht einer hielt stand, um mit ihnen zu kämpfen.

Seine Majestät sprach: ‚Was ist das, mein Vater Amun. Ist es gerecht von einem Vater, seinen Sohn nicht zu beachten? Sind meine Taten für Dich nicht beachtenswert? Gehe und stehe ich nicht mit Deinem Wort? Ich habe keinen Deiner Befehle mißachtet. Zu groß ist er, der große Herr von Ägypten, um Fremdländern zu gestatten, seinen Weg zu betreten. Was sind diese Asiaten für Dich, Amun, diese Elenden, die Gott nicht kennen. Habe ich nicht für Dich viele Denkmäler errichtet, Deinen Tempel mit meiner Beute erfüllt. Habe ich nicht für Dich mein Haus von Millionen von Jahren gebaut, mit all meinem Reichtum als Ausstattung. Ich brachte Dir alle Länder, um Deine Altäre zu versorgen. Ich opferte Dir 10 000 an Rindern und alle Arten von süß duftenden Kräutern. Ich baute große Pylone für Dich, ich selbst errichtete ihre Fahnenmasten. Ich brachte Dir Obelisken von Jebu, ich war es, der ihre Steine holte. Ich überbrachte Dir Schiffe vom Meer, um vor Dich die Güter der Länder zu schleppen. Ich rufe zu Dir, mein Vater Amun. Ich bin unter einem Haufen Fremder, alle Fremdländer stehen in Schlachtreihen gegen mich. Ich bin allein, niemand ist bei mir. Meine zahlreichen Truppen haben mich im Stich gelassen. Nicht einer meiner Streitwagen kümmert sich um mich. Ich rufe immer noch nach ihnen, doch keiner erhört meine Rufe. Ich weiß, Amun hilft mir mehr als eine Million Truppen, mehr als 100 000 Wagenlenker, 10 000 Brüder und Söhne, die wie ein Herz verbunden sind. Das Werk zahlreicher Menschen ist nichts, Amun ist hilfreicher als sie. Ich bin hierher gekommen auf Befehl Deines Mundes, oh Amun, ich habe Deinen Befehl nicht überschritten.'

Und ich bemerkte, daß Amun kam, als ich zu ihm rief. Er gab mir seine Hand, und ich erfreute mich. Er rief von hinten, als ob er neben mir stünde: ‚Vorwärts, ich bin mit Dir, ich, Dein Vater, meine Hand ist bei Dir, ich behalte die Oberhand über 100 000 Männer, ich bin der Herr des Sieges und der Tapferkeit.' Ich fand mein Herz tapfer, mein Herz in Freude, alles was ich tat, war erfolgreich, ich war wie Month. Ich schoß zu meiner Rechten, griff zu mit der Linken, ich war vor ihnen wie Seth in seinem Augenblick. Ich sah die Masse der Wagen, in deren Mitte ich war, sich zerstreuend vor meinen Pferden. Nicht einer von ihnen konnte die Hand zum Kampf erheben, ihre Herzen versagten ihren Körpern in Angst vor mir. Ihre Arme erschlafften, sie konnten nicht schießen, sie hatten keinen Mut, ihre Lanzen zu fassen. Ich ließ sie ins Wasser fallen wie Krokodile, sie stürzten auf ihr Gesicht, einer über den anderen. Ich schlachtete unter ihnen nach meinem Willen, nicht einer blickte hinter sich, nicht einer wandte sich um. Wer niederfiel, erhob sich nicht mehr. Ich griff sie an, ich war wie Month, in einem Augenblick gab ich ihnen eine Probe meiner Hand. Ich wütete unter ihnen, sie lagen geschlagen auf der Stelle.

Einer rief es dem anderen zu: ‚Es ist kein Mensch, der unter uns ist. Es ist Seth, groß an Macht, Baal in Person. Es sind keine Taten von Menschen, seine Taten. Sie sind von einem, der einzig ist, der gegen 100 000 kämpft ohne Soldaten und Wagen, kommt schnell, flieht vor ihm, um Leben zu suchen und Luft zu atmen. Wer sich versucht, ihm zu nähern, dessen Hände, all seine Glieder werden schwach, man kann weder Bogen noch Speer halten, wenn man ihn daherrasen sieht.' Als nun meine Soldaten und Wagenkämpfer sahen, daß ich wie Month war, schwer bewaffnet, daß mein Vater Amun bei mir war, der die Fremdländer wie Spreu vor mir zerstreute, da fingen sie an, heranzukommen, einer nach dem anderen, um das Lager zur Nachtzeit zu betreten. Sie fanden alle Fremdländer, die ich angegriffen hatte, gefallen in ihrem Blut liegen, all die guten Krieger von Chatti, die Söhne und Brüder ihrer Häuptlinge. Daraufhin kamen meine Soldaten, mich zu preisen, ihre Gesichter leuchtend beim Anblick meiner Taten. Meine Offiziere kamen, meinen kraftvollen Arm zu loben, ähnlich meine Wagenlenker, die meinen Namen priesen. ‚Heil, oh guter Krieger, tapfer an Herzen. Du hast Deine Soldaten gerettet, Deine Wagentruppen, Du bist Amuns Sohn, der mit seinen Armen kämpft. Du hast Chatti gefällt durch Deine grandios Stärke, Du bist ein vollendeter Kämpfer, es gibt keinen wie Dich, ein König, der für sein Heer kämpft am Kampftag. Du bist siegreich über alle Maßen vor Deiner Armee, vor dem ganzen Land. Es ist keine Prahlerei: Schutzherr von Ägypten, Bändiger der Fremdländer, Du hast den Rücken von Chatti gebrochen für alle Zeiten."

Soweit der altägyptische (Propaganda)-Bericht über die Schlacht.

Wenden Sie sich nun um und gehen Sie links an dem kolossalen Kopf von Ramses II. vorbei über eine Rampe nach oben (Plan Nr. 4). Bevor Sie den Säulensaal betreten, sehen Sie auf dessen linker Außenwand eine große Darstellung von Ramses II., der vor Amun Mut und Chons, der thebanischen Triade, kniet. Hinter ihm steht Thoth, der Gott der Zeitrechnung und Geschichtsschreibung, der auf den Blättern des Heiligen Baumes im Tempel von Heliopolis die Namen des Königs notiert. Darunter befindet sich ein Bildstreifen mit Prinzen, mit Söhnen von Ramses II., ein kleiner Ausschnitt aus der langen Liste von Söhnen, die Ramses während seiner über 60jährigen Regierungszeit gezeugt hat.

Gehen Sie nun in den Säulensaal und in seiner Mittelachse bis kurz vor die nächste Türe (Plan Nr. 5). Dort wenden Sie sich um. Beim Blick zurück sehen Sie draußen vor dem Hof die umgestürzte kolossale Sitzfigur von Ramses II. Wenn Sie nach oben schauen, dann sehen Sie zunächst beiderseits des Mitteldurchganges die geöffneten Papyruskapitelle, während weiter außen rechts und links die Kapitelle der Säulen geschlossene Papyrusdolden zeigen, eine basilikale Anlage mit erhöhten Mittelschiff und niedrigeren Seitenschiffen. Sie wenden sich um, blicken weiter ins Tempelinnere und sehen - noch bevor Sie die Türe durchschreiten - auf der rechten Seite ein großformatiges Relief, das Amun zeigt, der Ramses II. das Lebenszeichen an die Nase reicht. Das entsprechende Bild auf der linken Seite der Mittelachse zeigt Amun, der dem König die Herrschafts-Insignien übergibt.

Sie gehen durch das nächste Tor (Plan Nr. 6) und sehen auf dessen Rückseite die Prozessionen der Götterbarken, die auf dem Rücken von Priestern auf Tragstangen aus dem Tempel herausgetragen werden. Auf den Architraven dieses Tempelraumes sind astronomische Darstellungen angebracht, ein Hinweis auf die Funktion des Tempels als Abbild des Kosmos, wobei die Tempeldecke den Himmel darstellt. Wenn Sie von hieraus zurückblicken zum Tempeleingang, dann sehen Sie ganz besonders deutlich und eindringlich das Ansteigen des Fußbodeniveaus von draußen nach drinnen und gleichzeitig können Sie hier beobachten, wie die Raumhöhen von außen nach innen immer weiter abnehmen, so daß sich Fußboden und Deckenlinie im Allerheiligsten treffen werden und dort die Begegnung von Mensch und Gott stattfinden kann.

Wir wenden uns um. Vor uns steht die Rückwand dieses Saales, auf ihrer rechten Hälfte ist ein großformatiges Relief zu sehen: Ramses II. kniet vor dem Heiligen Baum im Tempel von Heliolopolis. Links sitzt Atum und schreibt auf die Blätter des Baumes den Namen des Königs. Rechts steht die Göttin Seschat, hinter ihr der ibisköpfige Thoth, beides Götter der Zeitrechnung und der Schriftm, beide damit beschäftigt, den Namen Ramses II. auf die Blätter des Heiligen Baumes und damit in das Buch der ägyptischen Geschichte zu schreiben.

Verlassen Sie nun den Tempel nach hinten. Rings um Sie, vor allem schräg rechts vor Ihnen im Nordwesten, sind die den Tempel umgebenden Wirtschaftsgebäude, Magazine, Priesterwohnungen Verwaltungsräume und Stallungen erstaunlich gut erhalten geblieben. Es lohnt sich, durch diese aus ungebrannten Nilschlammziegeln erbauten Gebäude mit ihren original erhaltenen Tonnengewölben hindurchzugehen und damit den Eindruck des eigentlichen Tempels abzurunden durch den Eindruck der umgebenden Profangebäude, die zum Funktionieren des Kultes von ganz entscheidender Bedeutung gewesen sind.